01 100 Jahre Schiedsrichtergruppe Deggendorf

„Als Frau musst du nicht 100, sondern 120 Prozent sein“

Deggendorf, 23. August 2023: Es braucht Pioniere, um Wege zu ebnen. Pioniere wie Martha Scheungraber aus Riggerding im Landkreis Deggendorf. Fußball war schon früh ihre Leidenschaft. Bereits 1962 hat sie mit ihrem Bruder und den Jungs aus ihrer Gegend auf dem Fußballplatz gekickt. Zu einer Zeit, in der Frauenfußball in der Bundesrepublik Deutschland noch verboten war. Erst 1970 wird der Frauenfußball in die Satzung des DFB aufgenommen. Stollenschuhe durften da allerdings noch nicht getragen werden, eine halbjährliche Winterpause war Pflicht und die Spieldauer betrug 70 Minuten.

„Dann war das natürlich in der damaligen Zeit Horror! Ein Mädel, das Fußball spielt! Also, das geht ja nicht“, erinnert sich Martha an die Zeit zurück. Der damalige hiesige Pfarrer hat es deshalb als Pflicht angesehen, sich ihrer anzunehmen. Er drohte, sie an den Ohren durch ganz Wallerfing zu ziehen, wenn er sie nochmal am Fußballplatz erwische. „Aber das war mir sowas von wurscht“, meint sie taff und lacht dabei. Und obwohl sie dann auch weiterhin auf dem Fußballplatz aufzufinden war, hatte ihre Entscheidung keine negativen Konsequenzen. Im Gegenteil.

„Das, was du bist, das hast du dir ganz schwer erarbeiten müssen. Stein für Stein für Stein.“

Irgendwann kam ihr der Gedanke: „Was machst du jetzt eigentlich, wenn du irgendwann nicht mehr Fußballspielen kannst? Da war ich damals 29.“ Deshalb hat sie sich dann auf das Schiedsrichtern fokussiert. Ihr erstes Spiel – ein D-Jugend-Spiel zwischen dem FC Moos und der Spvgg Osterhofen hat sie am 18. April 1986 gepfiffen. „Und du denkst dir, du bist alt und du bist eine gestandene Frau – aber von wegen. Du hast genauso Herzflimmern und Schweißhände und bist nervös“, beschreibt sie diese Erfahrung. Durch ihre Fußballkarriere, die sie sich über die Jahre zuvor in der Gegend aufgebaut hatte, war sie innerhalb der Szene aber schnell akzeptiert. „Das, was du bist, das hast du dir ganz schwer erarbeiten müssen. Stein für Stein für Stein“, meint Martha Scheungraber. Nach und nach hat sie dann Schiedsrichterlehrgänge besucht. Den B-Schein hat sie seit 1990. „Da war ich natürlich auch die erste Frau.“ An diese Zeit denkt sie gerne zurück: „Die haben dich da so genommen, wie du bist. Die haben das ja gesehen, wenn du am Ball bist, dass du nicht von irgendwo bist, sondern dass du ein gewisses Ballgefühl hast.“ Scheungraber war damit nicht nur eine der ersten Frauen in Niederbayern, die Fußball gespielt hat, sondern auch die erste Frau der Schiedsrichtergruppe Deggendorf.

Und obwohl sie akzeptiert war, hat sie sich selbst immer unter Druck gesetzt – vor allem bei den Schiedsrichterprüfungen. „Ich wollte immer irgendwo... mehr sein, also, nicht mehr sein, aber als Frau musst du nicht 100 Prozent, sondern 120 Prozent sein. Das kauft dir ja sonst eh niemand ab.“

Ihren Pfeifstil beschreibt sie klar: „Ich bin eine, die das Spiel eher laufen lässt. Keine, die wegen jeder Kleinigkeit pfeift. Ich pfeife schon, aber nur, wenn es sein muss. Und ich habe die Spieler immer so behandelt: Du, Ich, gleich. Auf Augenhöhe.“ Für sie war immer eins wichtig: „Du musst die ersten zehn Minuten top sein und die letzten zehn Minuten. Das sind die Wichtigsten.“ Und noch einen Tipp hat die erfahrene Schiedsrichterin: „Du musst dir ein dickes Fell zulegen.“

„Ich habe immer alles gegeben, dass Frauen diese Leidenschaft leben können.“

An eine Situation erinnert sich die Fußball-Pionierin noch gut zurück. Denn so ganz ohne frauenfeindliche Kommentare ging es dann scheinbar doch nicht. In einem Spielbericht des 10. August 1988 ist der Kommentar eines Spielers zu lesen: „Jetzt wenn du nicht eine Frau wärst, dann würde ich sagen: ‚Du bist ein blödes Rindvieh.“ Nachdem sie dem Spieler daraufhin die rote Karte zeigte und ihn des Platzes verwies, folgte der Zuschauerkommentar: „Das kannst Du auch noch, sonst kannst du nix. Du alte Schucks und Du gehörst ja nach Hause, hintern Kochtopf.“

Alles in allem hat sie aber wenige negative Erfahrungen gemacht. „Es hat mir immer viel Spaß gemacht“, fasst sie ihre Karriere bisher zusammen. Und all diese Erlebnisse haben sie nur stärker, selbstbewusster werden lassen. Und vor allem eins: „Ich bin riesig stolz. Fußball war einfach meine Leidenschaft. Und ich habe immer alles gegeben, dass Frauen diese Leidenschaft leben können.“ Sie hat den Weg für viele Mädchen und Frauen geebnet, die hier in Niederbayern ihrem Fußball-Traum nachgehen können.

„Das Wichtigste ist einfach, dass man zu seinen Entscheidungen steht, die man trifft.“

02 Kathi SchwitzWie beispielsweise für die 23-jährige Nachwuchsschiedsrichterin Katharina Schwitz. Ihre Laufbahn ähnelt der von Martha Scheungraber doch sehr. Seit Schwitz fünf Jahre alt ist, spielt sie Fußball. In ihrem Fall war es der Papa, der sie dazu gebracht hat. Irgendwann kam dann der Wunsch, Schiedsrichterin zu werden. Und das auch relativ früh, denn sie war da auch um die 13 Jahre alt. Dass das kein einfacher „Beruf“ ist, hat sie mittlerweile gelernt: „Natürlich braucht es dafür Zeit. Das ist alles eine reine Entwicklungssache, das baut man nach und nach auf. Das Wichtigste ist einfach, dass man zu seinen Entscheidungen steht, die man trifft.“

Ihr Pfeifstil ähnelt auch dem ihrer erfahrenen Kollegin – die beiden sind sich da relativ ähnlich. „Ich bin schon eher der Fußballer. Ich lasse schon viel laufen, also, ich bin jetzt nicht so der kleinliche Mensch. Ich bin eher jemand, der eher zurückhaltend mit Karten ist. Aber ich bin schon auch konsequent, also alles lasse ich mir nicht gefallen“, lacht sie, und sagt weiter: „Ich lebe das wirklich aus. Bei mir gibt’s das auch nicht, dass ich während der Saison in den Urlaub fahre. Im Gegenteil, da werden dann noch Termine verschoben, damit ich dann einfach da bin.“

Die 23-Jährige wird von vielen als Top-Nachwuchstalent betitelt – hat bereits Bezirksliga gepfiffen. Diese Saison ist allerdings die Kreisliga die höchste Klasse, in der sie als Schiedsrichterin tätig sein wird. „Das ist gerade ein schwieriges Thema“, meint die 23-Jährige. „Weil mein Ziel wird mir gerade selbst genommen. Ich habe letztes Jahr Kreisliga gepfiffen und wäre dieses Jahr wieder in die Bezirksliga aufgestiegen. Dadurch, dass ich selber Fußball spiele... also, das ist vom Bezirk so kommuniziert, dass quasi, wer Fußball spielt, darf Bezirksliga nicht pfeifen. Sie haben mir dann also gesagt, dass ich aufsteigen würde, aber dass ich das Fußballspielen aufhören müsste. Und da hab ich gesagt, dass ich das nicht mache. Das macht mir Spaß und das will ich mir nicht nehmen lassen. Deswegen bin ich da jetzt zurückgetreten und pfeife jetzt eben Kreisliga und jetzt auch ohne Beobachtung inzwischen“, fasst sie die Situation zusammen. Grund für diese Regelung sind unter anderem das hohe Verletzungsrisiko, dem Fußballspieler ausgesetzt sind. Denn bei schwerwiegenderen Verletzungen würde sie natürlich nicht nur für mehrere Wochen für ihren Verein, sondern auch für ihren Verband ausfallen. „Für mich ist das nicht nachvollziehbar“, meint Kathi Schwitz achselzuckend.

„Man sollte nicht vergessen: Ohne Schiri gibt’s kein Spiel.“

Vor etwas mehr als 50 Jahren war es Frauen endlich erlaubt, Fußball zu spielen. Rund 50 Jahre trennen Martha Scheungraber und Katharina Schwitz voneinander. Seitdem hat sich viel getan. Die Zeiten haben sich verändert, auch in Sachen Akzeptanz. Die Werte, die den Fußball, das Spiel, ausmachen, sind aber gleichgeblieben. Ganz egal ob Mann oder Frau. Und für das Spiel, das wir alle lieben, braucht es vor allem Schiedsrichter. Deshalb wünscht sich das Nachwuchstalent eins: „Dass wieder ein bisschen mehr Ruhe einkehrt, dass die Schiedsrichter wieder mehr respektiert werden. Also, ich finde, dass das in den letzten Jahren ein bisschen verloren gegangen ist. Weil, man sollte nicht vergessen: Ohne Schiedsrichter gibt’s kein Spiel.“

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